Nun liegt er vor, der Briefwechsel zweier Persönlichkeiten, die auf ihre ganz eigene Weise das kulturelle Klima dieses Jahrhunderts mitbestimmten. Alban Berg, der Komponist und Adorno, der ich-weiß-nicht-was-alles. Es ist ein Briefwechsel, bei dem Fragen der Beschaffung von Bleistiftanspitzern nur gelegentlich abgehandelt werden. Es ist ein Briefwechsel, der direkte Einblicke in die Produktionsspähren dieser ausgeprägten Persönlichkeiten gestattet. Dadurch kommt diesem Buch der Wert einen wirklichen Primärquelle zur Erschließung des kulturellen Klimas der 20er und 30er zu.
Adorno ging ja als 21-jähriger nach Wien, um bei Berg Kompositionsstudien zu betreiben. Ein Unterricht im traditionellen Sinne fand aber wohl nicht statt. Was trotz des Unterrichts blieb, erzählen die Briefe. Das war zunächst eine überaus freundschaftlich verbundene Zusammenarbeit: Daß der „alte" Berg den jungen Adorno über seine Wahl des Opernstoffs informierte und um Rat bat, daß Adorno Aufträge vermitteln wollte. Das Buch beschreibt aber auch biographische und soziale Bedingungen: Wie der frühe Lebensweg Adornos durch die Fährnisse der 20er und 30er Jahre verlief, welche unheilschwangere Beziehungen das Musikleben der 20er Jahre durchfurchten, den doppelten „Siegeszug" des „Wozzeck", das Schwanken Adornos zwischen Musikschriftstellertum, Philosophie und Komponieren. Dazu kommen zwei ausgesprochene Perlen: Im Anhang sind zwei höchst brisante Briefe von Hans Heinsheimer und Edward Dent an Berg dokumentiert.
Heinsheimer von der Universal Edition, verantwortlich für die Musikzeitschrift des „Anbruch", macht in seinem Brief deutlich, wie schwer es ist, eine Musikzeitschrift zu führen, die Adorno eindeutig als musikpolitisches Machtinstrument zur Durchsetzung avancierter Musik auffaßte. Heinsheimer plädierte für dagegen für einen Mittelweg, damit die Abonnenten erhalten bleiben und auch um die Verlagspolitik mit ihren Komponisten zu stützen. Die UE verkaufte ja nicht nur Schönberg, Berg, Weill, Eisler und Webern (die sich 1929 eben nicht gerade gut verkauften), sondern auch Kaminsky, Kodaly, Weinberger und vor allem Casella gegen den Adorno und Berg gleichermaßen vorgingen.
Die Parallelen zur Gegenwart sind evident: Der Bedarf an theoretischer Durchdringung wird heute nur noch von einem Spezialistenpublikum wahrgenommen, die breite musikinteressierte Öffentlichkeit erlaubt sich den Luxus, sich mit Oberflächenphänomenen abzugeben. So schwindet die kritische Öffentlichkeit immer mehr und bunte Boulevard-Blättchen (in Wahrheit kränkelnde Ableger) sind dabei, das Ruder zu übernehmen. Insofern bezeugt der Briefwechsel zwischen Adorno und Berg die Restaurationsbestrebungen einer Musikkultur und Gesellschaft, die einem irgendwie aus der Gegenwart bekannt vorkommen.